Liebe Leser*innen,
dieser Newsletter kann und will sich den aktuellen Ereignissen in der Ukraine nicht entziehen. Millionen von Menschen wurden durch den Angriffskrieg Russlands in existenzielle Gefahr gebracht. Hunderttausende sind auf der Flucht.
Pädagogik als Begleitung im Risiko
Jugendliche bekommen den Krieg über ihre Handys, Computer etc. mit und wollen darüber sprechen. In den Gesprächen mit jungen Menschen in den letzten Tagen, kam immer wieder die Frage:
“Werden wir auch in Österreich bald Krieg haben?”
Eine Frage die seit Jahrzehnten nicht mehr beantwortet werden musste, weil es undenkbar war sie zu stellen. Meine Antwort wäre auf der rationalen Ebene:
“Nein”.
Das ist aber keine hilfreiche Antwort auf die Frage die dahinter steckt:
“Hörst du mir zu, auch wenn ich Angst habe und nimmst du mich dabei ernst?”
Dann lautet die erste Antwort und damit der Aufbruch ins Risiko des Dialogs:
“Erzähl mir davon.”
Auf der pädagogischen Ebene ist die Frage ein Aufruf zur Begleitung und zum Dialog.
Mit Jugendlichen und Kindern über den Krieg zu reden, der nun in Europa tobt ist ein pädagogisches Risiko. Den richtigen Ton zu finden, Sorgen ernst zu nehmen und offen mit ihnen umzugehen, ohne zusätzlich Ängste zu schüren, ist eine große Herausforderung für uns als erwachsene Begleiter*innen von jungen Menschen.
Hier hilft es einen BREAK zu machen: (kurz) innezuhalten, bevor das Risiko der Begleitung beginnt und logisches Denken mit gefühlter Verbundenheit und instinktiven Körpersignalen zusammenbringen. Kurz mal die Newsticker auf Pause stellen und durchatmen. Die eigene Gestimmtheit, die Umgebung und die soziale Situation wahrnehmen, in der die Begleitung erfolgen wird. Schließlich die bewusste Entscheidung:
“Kann ich so begleiten? Oder muss noch vorher etwas geändert werden?”
Ja – Nein – Anders.
Ein paar Onlinetipps, die hilfreich in der Vorbereitung sind um mit jungen Menschen über Krieg zu sprechen findet ihr hier:
Schau hin! – Hilfe bei der Medienerziehung
logo! – Kindernachrichten des ZDF
Hoffnung am Horizont
Ein Mensch der viel darüber erzählen kann, was es heißt den Krieg zu erleben und fähig ist nach dem weiten Weg der Flucht das Unsagbare in Worte zu fassen, ist der junge Poet Omar Khir Alanam. Unseren gemeinsamen Dialog im Rahmen der “Schattendorfer Horizonte 2021” eröffnete er mit folgenden Worten:
“Ich bin das Risiko meiner Eltern,
in einem Moment der Liebe und des Zitterns…”
Im Dialog “…in Zeiten des Risikos” blicken wir auf Abschnitte des Lebens, die sich der Kontrolle entziehen und gleichzeitig so bedeutsam sind für uns Menschen als sinnsuchende Wesen. Wo sicherer Boden zu schwanken beginnt und uns zur Auseinandersetzung einlädt… und oftmals dazu zwingt.
Der Dialog im Rahmen der “Schattendorfer Horizonte 2021” führt uns durch eine Themenvielfalt, die von Reise und Flucht, von innerer und äußerer Heimat, von Trauma und Hoffnung, von Familie und Profession erzählt… und dem Risiko das in jeder Begegnung mit anderen Menschen steckt.
Den Dialog zwischen Omar Khir Alanam und Martin Dworak gibt es nachzusehen. Im selben Video erkunden davor Forscher und Autor Joachim Bauer und der Kinder- und Jugendpsychiater Winfried Janisch die Fähigkeit zur “Empathie…” und ihre Rolle für umfassende Gesundheit in Zeiten des Risikos. Mit einleitenden Worten von Gerald Koller.
Beide Dialoge über “Empathie in Zeiten des Risikos” nachzusehen unter:
Danke dafür an den österreichischen Alpenverein und Michael Guzei.
Wellenreiten in der Pandemie
Die pandemischen Wellen der letzten zwei Jahre machten Rausch- und Risikobalance zu einer (sehr persönlichen) existenziellen Frage. Nicht nur gesundheitlich, sondern auch sozial.
Im Artikel “In einem wankenden Schiff…” wirft Martin Dworak im risflecting®-Blog den Blick darauf, wie in einer anhaltenden Krise, die in wechselnder Frequenz Gewissheiten erschüttert, Rausch- und Risikobalance (wieder)erlangt werden kann.
Kaum hat man einen Weg gefunden, durch den Alltag/Beruf zu tanzen oder zumindest zu stolpern, da ändert das Virus seinen Rhythmus und mutiert. Wieder steht man dort, wo man schon zu Beginn gestanden ist:
ohne sichere Orientierung, mit dem haarsträubenden Gefühl irgendetwas machen zu sollen, ohne zu wissen, was und wie.
Das spüren besonders stark junge Menschen, deren Welt aufgrund der universellen Lebenskrise Pubertät ohnehin schon auf dem Kopf steht. Die Zahlen zum Anstieg von psychischen Erkrankungen sind alarmierend und zeugen von sprichwörtlich dunklen Zeiten der Depression.
Fast lässt sich hier vergessen, dass Menschen fähig zur Hoffnung sind und traumatische Erlebnisse bewältigen können. Die junge Dichterin Amanda Gorman erinnert in ihrem Gedicht “The Hill We Climb” daran:
“We did not feel prepared to be the heirs
of such a terrifying hour
but within it we found the power
to author a new chapter,
to offer hope and laughter to ourselves.”
Amanda Gorman -The Hill We Climb
Begleitung auf Augenhöhe
Jungen Menschen in einer solchen Krise lediglich “erhobene Zeigefingern” und “schlaue Sprüche” anzubieten, wäre zynisch. Viel mehr braucht es zugewandte Begleiter*innen, die junge Menschen unterstützen ihren Weg zu finden.
In seiner “Geschichte von Angst und Vertrauen” zeichnet Mario Amann (Sicheres Voralberg) im risflecting®-blog anhand markanter (Über)Lebensereignisse nach, wie sich Risiko und auch die Fähigkeit damit umzugehen im Laufe eines Lebens ändert und immer wieder zur aktiven Auseinandersetzung aufruft.
Zum Beispiel im neuen Blog “Sicheres Vorarlberg im Fokus” und dem Programm “risiko.bewusst.er.leben”
Darüber wie risflecting® in der stationären Jugendhilfe als Orientierung gebende Haltung und als konkrete Arbeit mit Jugendlichen Niederschlag finden, schreiben Niko Blug und Bettina Götz in der Publikation “Dranbleiben” der LWL-Koordinationsstelle Sucht ab Seite 30.
Über Begleitung in und durch Risiko, hat die Alpenvereinsjugend viel zu erzählen… und das tut sie auch, mit ihrem großartigen Film “Tage draußen”, der nun gratis abrufbar ist. Eine um Interviews und Parkourszenen erweiterte Version gibt es weiterhin auf W24 zu streamen – siehe auch den Beitrag “Mut zum Draußen, draußen zum Mut” im risflecting®-Blog.
Sonstiges
- Studienweg risflecting® 2022 ausgebucht
Um die Begleitung zur Entwicklung von Rausch- und Risikobalance geht es auch im Studienweg risflecting®. Nach den Turbulenzen der letzten zwei Jahre kann der der diesjährige im April starten und ist ausgebucht.
Infos zum Studienweg: https://lzg-akademie-rlp.de/risflecting/
- Wechsel Standort risflecting® focal point
Mit Jänner 2022 wechselte ich von Back Bone in Wien, nach Niederösterreich zu “Römerland Carnuntum Jugend”. Ich freue mich durch den Wechsel noch enger mit langjährigen risflecting® Kolleg*innen zusammenarbeiten zu können und in neuem Rahmen als risflecting® focal point tätig zu sein.
Wie immer gilt: bei Fragen, Ideen, Blogbeiträgen… jederzeit und gerne an: info@risflecting.eu Alles Liebe aus Wien
Martin Dworak
risflecting® focal point & inhaltliche Leitung Studienweg