Was hat Corona mit risflecting® zu tun?

Was hat es auf sich mit der oft benannten Rausch- und Risikobalance, die eine wichtige Fähigkeit für Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenwerden darstellt? Und wie kann das pädagogische Handlungsmodell risflecting® gerade in Krisenzeiten hilfreich sein? Die Corona-Zeit ermöglicht, den Blick auf alltägliche Dinge zu verändern und vielleicht auch zu schärfen.

Das folgende Interview (Themenheft 58) zwischen Lydia Römer und Martin Dworak wurde mit freundlicher Genehmigung der Fachstelle Suchtprävention Berlin zur Verfügung gestellt.

LR: Hallo Martin. Mich würde interessieren,
wie Du zu risflecting® gekommen bist?

MD: Vor nunmehr 11 Jahren habe ich angefangen, mich mit diesem Handlungsmodell zur Rausch- und Risikobalance auseinander zu setzen. Ich war in der Jugendarbeit tätig und wollte Jugendlichen Parkour-Trainings anbieten, irgendwie fehlte mir jedoch das Gerüst und der theoretische Unterbau, auch hier geht es ja immer wieder um das Einschätzen und den Umgang mit riskanten Situationen. Durch Zufall wurde ich für eine Diplomarbeit befragt – der andere Interviewpartnerwar Gerald Koller zum Thema risflecting®. Was er zu risflecting® gesagt hat, hat mich sehr inspiriert und ich habe mich für den ersten Studienweg angemeldet. risflecting® hat mich nicht mehr losgelassen und ein Stück weit auch verändert. Ich habe meinen damaligen Job gekündigt und bin auf eine lange Reise gegangen.

LR: Was ist risflecting® für Dich?

MD: risflecting® ist für mich eine Orientierungshilfe im Umgang mit Rausch und Risiko. Es geht darum, sich Risiko und riskante Situationen bewusst zu machen – diese vielleicht auch bewusst zu wählen. Das Wagnis, ein Risiko einzugehen oder einen Rausch zu erleben, wird durch Vor- und Nachbereitung, also durch Reflektion, einschätzbar und in den Alltag integriert. Außerdem können Beziehungsräume, insbesondere für Jugendliche, geschaffen werden sowie die Möglichkeit, sich über Erfahrungen auszutauschen. Wir Menschen sind miteinander verbunden, gerade jetzt, wo der persönliche Kontakt aufgrund von Corona nicht ausreichend möglich ist, bleiben die Nachwirkungen abzuwarten. Die ersten Begegnungen reichen von distanzierter Kühle zu rauschhafter Wiedersehensfreude. Da braucht es die Fähigkeit zur Balance, um einen Umgang zu finden, der menschliche Nähe verbunden mit verantwortungsvollem Handeln ermöglicht.

risflecting® besteht aus drei Kernbotschaften: „Break“, „Relate“ und „Reflect“. Schon 2015 haben wir angefangen den ehemaligen Begriff „Look at your friends“ erweitert zu denken. „Relate“ fasst den Begriff der Freundschaft größer, es geht darum, Verantwortung für sich selbst und andere zu ermöglichen.

Jeder Mensch hat eine Vorgeschichte und bewertet Situationen vor dem Hintergrund dieser Geschichte. So ist es z.B. für einen Seiltänzer keine Gefahr, in 10 Metern Höhe zu balancieren, er hat sich darauf vorbereitet und weiß um sein Risiko bei dieser Aktion. risflecting® regt also an, Risiko und Rausch als Teil unseres Lebens anzuerkennen, sich bewusst damit auseinanderzusetzen und die eigene Risikobereitschaft, auch im Kontext von Beziehungen zu reflektieren.

LR: Zusammenfassend und bezogen auf die aktuelle Situation heißt das doch: Für viele Menschen ist Corona eine Krise, die Sicherheiten wegfegt und die eigene Existenz bedroht – sozial, ökonomisch, gesundheitlich … In dieser ungewissen Zeit braucht es neue Möglichkeiten der Begegnung und des Austausches, um weiterhin Beziehungsräume zu ermöglichen, ohne Gefahren zu ignorieren. Als Einzelne, Gruppen und Gesellschaft sind wir herausgefordert, mündig mit Risiko – dazu kann der risflecting® Ansatz auch in Berlin einen wichtigen Beitrag leisten.

Martin, ich dank dir für das wertvolle Gespräch, wir wünschen dir und deiner Familie alles Gute und bleibt gesund!


Das Interview führte Lydia Römer

Fachstelle für Suchtprävention Berlin

Martin Dworak

Seit 2009 Mitglied des risflecting-Pools mit Schwerpunkt auf Rausch und Risiko in Bewegung, seit 2021 Leiter des Studienwegs risflecting®.