Gefahr frisst Risiko?! Warum es gelebte Hoffung braucht.

Der Blick in die Welt macht unsicher. Hat Rausch- und Risikopädgogik zwischen den extremen Positionen „sicher ist sicher“ und „da kann man halt nix machen“ noch Platz?

Ein Blick in die Welt:

Gefahren rücken näher, Aus- und Verhandlungsräume schmelzen

politische Gewalt und Straftaten

47% mehr rechtsextrem motivierte Straftaten in Österreich

Mord an Charlie Kirk

Politische Extreme nehmen zu


Sparpakete im Sozialbereich lassen befürchten, dass fallen gelassen wird, wer schon angeschlagen in den Seilen hängt.


Krieg findet in alten und neuen Formen seinen Weg durch Europa

mit Brandsätzen in Verteilerzentren

mit Kriegsgeräten und Kampfhandlungen

mit digitalen Sabotageakten

Autoritäre Herrscher etablieren Gewalt und Krieg wieder als legitime Mittel zur Veränderung von Gesellschaft und Grenzen.

Künstliche Intelligenz drängt in den Alltag… und Menschen daraus heraus

als Konkurent am Arbeitsplatz

als Beziehungspartner in Form von Chatbots

als Motivator für Suizid

Die Sicherheit schwindet, der Boden unserer Gewissheit wankt…

„Endlich RUHE!!!“ brüllt die innere Stimme.

Mit einem trostlosen Blick könnten wir nun feststellen:

der Exzess bahnt sich individuell und global seinen Weg mit heißer Wut und Ressourcenverbrennung, die Depression legt sich wie eine bleierne Decke erstickend über Menschen und Gesellschaft

…als Handlungsoptionen bleiben scheinbar nur Kopf einziehen
oder mit dem Rundumschlag “auszucken” [in Raserei verfallen]

Verbissene Härte und Gewalt, wird zunehmend als Lösung populär und das von Fukoyama vor 25 Jahren ausgerufene Ende der Geschichte, scheint nicht in der aufgeklärt liberalen Demokratie festgeschrieben zu werden, sondern als Hightech Faustrecht.
Hat in diesem Umfeld Rausch- und Risikopädagogik überhaupt noch Platz?

JA… als Hoffnungsprofession können wir Spielraum schaffen. Zwischen den Extremen „sicher ist sicher“ und „da kann man halt nix machen“  eröffnen wir Entwicklungspotential, indem wir mit Ungewissheit arbeiten, statt gegen sie.

Hoffnung meint dabei nicht den passiven Glauben, dass alles von alleine (wieder) gut wird, sondern die Überzeugung, dass uns menschliches Entwicklungspotential unerwartete Lösungen bringen kann, wenn Menschen kooperieren und sich miteinander anstrengen.

„Wir wissen noch nicht, wie sich das bessere Leben ausgeht, 
aber es zahlt sich aus, sich dafür anzustrengen.“ 

Denn die Jugendlichen mit denen wir arbeiten, sind es wert, dass wir uns mit ihnen anstrengen, egal ob sie privilegierten oder benachteiligten Gesellschaftsgruppen angehören… und damit ein kleines bisschen mehr dem Ideal der Menschenrechte als „gleich an Würde“ näherkommen.

Drei Schritte um Spielraum zwischen den Extremen zu schaffen:

  1. Nutzen und verbinden wir unsere vielschichtige Fähigkeit zur Risikoeinschätzung und Entscheidungsfindung

Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Wegsuche auf eine einzige Orientierungshilfe zu reduzieren. Denn so gut die drei Orientierungsebenen Kopf, Herz und Bauch in bestimmten Situationen sind, haben sie Grenzen und halten Fallgruben bereit. Vereinzelt bleiben sie weit hinter dem zurück, was sie im Verbund zur Entscheidungsfindung leisten können.

Kopf
Der Ruf des Kopfes, alle Sicherheit in evidenzbasiertem Wissen zu suchen, führt letztendlich in die Handlungsunfähigkeit, da dieses Wissen so enorm umfangreich ist und täglich wächst, dass es von niemandem in seiner Gänze integriert werden kann. Schon gar nicht tagesaktuell oder innerhalb von Sekundenbruchteilen. Abgesehen davon, dass vieles nicht auf diese Weise erforscht werden kann, da es sich dem Messbar machen entzieht.

Bauch
Sich auf das Bauchgefühl oder das Immunsystem, also auf all das was unbewusst mitläuft und uns durchs Leben gehen lässt, zu verlassen, scheitert schnell. Denn es handelt sich um kein Problem, das 1. an den Grenzen des eigenen Körpers endet und 2. intuitiv erfasst werden kann. Wahrscheinlichkeiten und exponentielles Wachstum liegen unserer Intuition nicht und werden von ihr grundlegend falsch eingeschätzt. (siehe dazu: Gerd Gigerenzer: Risiko bzw. Daniel Kahnemann: Schnelles Denken, langsames Denken)

Herz
Und selbst das soziale Gespür für Beziehungen, also die “Herz-Ebene”, führt zwar in Gruppen Gleichgesinnter, egal ob mit physischer Distanz oder nicht, und bringt das wohlige Gefühl der Zugehörigkeit, ist aber höchst anfällig für Lagerbildung und echohafte Verstärkung der eigenen Position und Sicht der Welt. Damit wird letztendlich auch die Grenze der Empathie immer enger gezogen, bis schließlich ein inneres “Wir” dem äußeren “Die” feindlich gegenübersteht. Die bis dahin aufregende Begegnung mit dem Anderen, wird zur Gefahr.

Vielmehr müssen wir sie miteinander in Kommunikation bringen. Immer wieder den Break setzen, der Raum verschafft um Kopf, Herz und Bauch in Verbindung zu bringen. 

Ein Prozess der logisches Denken mit gefühlter Verbundenheit und instinktiven Körpersignalen in Verbindung bringt. In Individuen, ebenso wie in Gruppen und Gesellschaften.

  1. Akzeptieren, dass es keinen sicheren Endzustand gibt und gewählte Risiken eingehen.

Dafür braucht es die Bereitschaft innezuhalten, bisheriges zu dekonstruieren um Platz für Experimente und die Verbindung mit neuen zu schaffen, das integriert werden kann.

Weg vom Bild eines Spiels nach klaren Regeln, das nur einen „Gamechanger“ braucht, um endlich zu einem Ende zu finden. Sondern hin zu einem dynamischen Tanz, der auf dem Parkett von Biologie, Technik und Gesellschaft erfolgt.

Dazu braucht es die Gelegenheit resonante Beziehungen einzugehen, die ein Wechselspiel von Einfluss zulassen, statt sich im Versuch aufreiben immer mehr unter Kontrolle zu haben.

Hartmund Rosa beschreibt in seinem ebenso dünnen wie klarsichtigen Buch “Unverfügbarkeit”, den zugrundeliegenden Konflikt. Umso kontrollierbarer und nutzbarer wir etwas machen, umso besser wir darauf zugreifen und es verfügbar machen, desto mehr entzieht es sich der Möglichkeit in Resonanz zu gehen. Was kontrolliert, geregelt und voraussagbar ist, trägt nicht mehr den Keim des Unverfügbaren in sich, der uns berührt und verändert. Wir treten dann nicht mehr in Beziehung sondern machen Dinge/Menschen zu Aggressionspunkten, die wir nach unseren Wünschen und Nöten kontrollieren wollen.

Der zunehmende Trend Aufmerksamkeit nützlich und messbar zu machen, ist genau so eine Reduzierung von Menschen in ihrer Vielfalt auf anvisierte Aggressionspunkte.

Wir brauchen also Spielräume, die es ermöglichen die Welt zu begreifen und von ihr ergriffen zu werden. Umfänglich Be-Greifen statt digital ver-wischen. Diese Spielräume brauchen auch Grenzen, damit Menschen ihr „Recht auf Schrammen“ [Link] verwirklichen können… ohne dabei fatal (ab)zustürzen.

  1. Die Fähigkeit zu Kooperation und aneinander Wachsen nutzen und stärken

Es ist möglich sowohl das eigene Wohlbefinden als auch das Wohl Anderer im Auge behält. Als soziale Wesen, die auf die Einbettung in ein Geflecht aus lebendigen Beziehungen angewiesen sind, ist es nicht nur möglich, sondern sogar notwendig, dass wir miteinander kooperieren und füreinander sorgen.

Die kommunikative Brücke zwischen Kopf, Herz und Bauch lässt sich nicht nur allein herstellen, sondern auch gemeinsam, im wertschätzenden Dialog. Daraus entsteht Handlungsfähigkeit.

Das Gute ist: wir brauchen keine bis ins letzte Detail ausgearbeitete Bauanleitung für diese Brücken, sondern erst mal eine grundsätzliche Richtung und die Bereitschaft immer wieder den Blick zu heben und die Richtung zu ändern wenn es die Situation erfordert.

Als Menschen sind wir mit der Fähigkeit gestraft und gesegnet, Lücken zu füllen. Während Verschwörungsideologien sie dazu nutzen Lücken in der Mauer ihrer eigenen Festung zu schließen, kann genau diese Fähigkeit, sich das Fehlende vorzustellen und zu füllen, uns dabei helfen eine Brücke zu schlagen wo zuvor keine war und damit den Weg in die Zukunft zu öffnen.

We did not feel prepared to be the heirs

of such a terrifying hour

but within it we found the power

to author a new chapter,

to offer hope and laughter to ourselves.

Amanda Gorman

…und selbst wenn alles schwankt: wir können ein-Ander Halt geben, auch wenn wir selbst noch nicht standfest sind, in dieser neuen, erschütternden Welt.

Das geht sicher nicht mit allen Anderen. Aber wahrscheinlich mit vielen Anderen.

PS: ein Literaturtipp der Hoffnung macht: Rutger Bregman – Im Grunde Gut

Autor:
Martin Dworak

Martin Dworak

Seit 2009 Mitglied des risflecting-Pools mit Schwerpunkt auf Rausch und Risiko in Bewegung, seit 2021 Leiter des Studienwegs risflecting®.