Paragleit – Tandemflug: Reflexion zu Rausch & Risiko 

Als Jugendbetreuer und Tandempilot greife ich Lebensthemen der Passagiere auf. Gemeinsam finden dazu passende Handlungsmöglichkeiten statt und bestärken diese in einem Flugerlebnis. 

Mich erreicht eine Anfrage von Anna (Name geändert), ca. 25 Jahre alt. Nach einem Unfall beim Landeanflug (Baumlandung) ist sie körperlich unverletzt und möchte wieder fliegen; allerdings halten sie ihre Ängste davon ab. Sie will ihr Leben jedoch nicht von einer Angst bestimmen lassen. Also beschließen wir, gemeinsam einen Tandemflug zu machen. Sie als Passagierin, ich als Pilot. Von  risflecting® hat Anna bisher noch nichts erfahren. 

Vorbereitung 

In meinen Vorbereitungen suche ich Ansätze und Modelle des Risflecting-Konzepts heraus, die sich mit Flugsituationen ergänzen. Ich entscheide mich dafür, die Kulturtechniken Break- Relate-Reflect in der Startvorbereitung anzuwenden. 

Mit dem Ansatz, dass Rausch- und Risikobalance in einer Kultur der Achtsamkeit und des Dialogs gelingt, reden Anna und ich über Achtsamkeit, ihre Beobachtungen im Inneren und in Ihrem physischen und sozialen Umfeld. 

Mein Fokus bei diesem Tandemflug liegt also auf der unmittelbaren Startvorbereitung, dem Wahrnehmenin der Luft und auf der Landung. Aufgrund von Annas Landeerlebnis ist die gemeinsame Landung für mich der wichtigste Teil des Fluges. Zu meiner Vorbereitung gehört: eine gezielte Sprache/Wording zu finden um Annas Landeerlebnis neu zu „programmieren“, sowie die Kulturtechnik Break-Relate-Reflect am passenden Zeitpunkt der Startvorbereitung zu vermitteln. 

In einem Vorbereitungstreffen versuchen wir herauszufinden, wie Anna ihre Sinneswahrnehmungen (hören, fühlen, riechen, sehen, schmecken) in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit richten kann. Dazu finden wir Situationen, in denen Anna diese Aufmerksamkeit trainieren will. Sie beschließt bei ihren Waldspaziergängen und im Yoga-Studio ihre Aufmerksamkeit bewusst verstärkt auf die Sinneswahrnehmungen zu lenken. 
Wir erstellen außerdem ein Körperbild von Anna, worauf sie ihre Wahrnehmungen, Gedanken und Erkenntnisse zum Ausdruck kommen lässt. 
Des Weiteren besprechen wir Rahmenbedingungen, die Annas Wohlbefinden aufrecht erhalten sowie worst case und best case Szenarien. Wir versuchen so viele Sorgen wie möglich in der Vorbereitung zu besprechen. 

Der Flug 

Nach den gewöhnlichen Startvorbereitungen am Startplatz setzen wir uns in die Wiese neben den Schirm und gehen die Startabläufe Schritt für Schritt durch. Wir beschließen, einen Start durchzuführen und abzubrechen, damit Anna im ersten Schritt die Startabläufe wiedererlebt. Nach dem ersten Start machen wir den Schirm wieder startklar und hängen uns an den Schirm; nun wird es ernst. 
Es folgt der Break. Dabei gehen wir Annas Wahrnehmungen durch: 

–  im Kopf: Startabläufe, vom Gehen ins Laufen, bis wir abheben. Diese Gedanken für Anna sind klar und beruhigend. 

–  im Bauch/Körper: leichte Anspannung, „ruhiges Wasser“, Wärme, leichtes Zittern der Finger. 

–  Emotion: aufgeregt, kühn, zielorientiert, selbstsicher 

Relate:

–  Wahrnehmung der Gruppe: Anna fragt mich, wie es mir geht und ob ich nervös bin. 

–  Wahrnehmung der Umgebung: wir erzählen uns, was wir hören, sehen, schmecken, fühlen & riechen. Wir nehmen den Raum vor uns, hinter uns, über uns und am Landeplatz wahr. 

Reflect: 

– Anna, die Umgebung um uns und ich scheinen startklar zu sein. Wir und jede*r für sich war sich seinem / ihrem Wohlbefinden im Klaren. Unsere Fähigkeiten scheinen der Herausforderung gewachsen zu sein. 

In der Luft 

Es folgt ein Flug voller Staunen, Freude, Tränen und vielen Seufzern. Anna ist sich klar darüber, wo sie hingeflogen werden möchte. Über der Talmitte übernimmt sie für ein paar Sekunden die Steuerleinen, bis sie merkt: sie möchte lieber nicht selber fliegen, sondern nur den Flug wahrnehmen. Ich halte mich während des Fluges ruhig und zurück, stellte ihr keine Aufgaben, sondern lasse sie einfach den Flug erleben, das Fluggefühl spüren. 

Die Landung 

Für eine angenehme Landung bereiteten wir uns in der Luft früh genug, mit ausreichender Höhe, auf die Landeeinteilung vor. Mit meinem countdown zum touchdown kann ich ihr ein Gefühl davon vermitteln, wann wir zu Boden kommen. 
Annas Worte beschreiben ihr Erlebnis am besten: überraschend, gemütlich, geil, lecko mio! 

Reflect: 
Auf der Landewiese, nach dem Ablegen der Flugausrüstung, berichten wir uns von den inneren Vorgängen zu den Flugabläufen. Anna erzählt mir, dass sich Stress & Angst verabschiedeten. Sie verspürte Freude, Genuss, Erleichterung, habe Altes wiedergefühlt und was heute anders war als bei den Flügen, die sie bisher erlebt hat, war, dass sie ihre Palette an Gefühlen im Blick hatte, als ob sie auf einen Wasserfarben Kasten schaue. 

Aus Annas Sicht gab es zwei bedeutsame Situationen: 

  • –  Als sie das Steuer in die Hände nahm, merkte sie: Das will ich nicht, also mach ich es nicht! 
  • –  Bei dieser Landung merkte sie, wie sanft man zu Boden kommen kann. Dieses Landeerlebnis ist das Pendant zu ihrem vorherigen. Sie habe dabei altes wieder erlebet, und doch neu erlebt. 

Die Herangehensweisen und die Erlebnisse bei den Vorbereitungen und beim Flug haben Anna dabei geholfen, ihr wohlbringendes Gefühl vom Fliegen wieder zu erleben. Sie hat mir ihren inneren Zustand so beschrieben: es war extrem viel los, von Freude bis Angst, die ganze Palette, die sie kennt. Unsere Herangehensweise habe sie beruhigt und selbstsicher sein lassen. Nach all dem, was sie wahrgenommen hatte, kommt sie zu der klaren Erkenntnis, dass sie nicht mehr Solo fliegen will. Die Vorstellung davon sei ihr zu unwohl, doch das stresst sie jetzt nicht mehr. 

Georg Schwaighofer