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(neulich , als noch früher war …)
risflecting®-Abschlussarbeit 2017, Wolfgang Hel
Mein Spiegelkabinett hat wieder regelmäßig geöffnet, das Glas ist frisch geputzt, die Reflexionen strotzen vor Farbenfreude.
Weil es so Spaß gemacht hat (neben dem Putzen) auch wieder einmal in alten Kisten zu wühlen, habe ich vor Begeisterung jede Menge Staub aufgewirbelt (vielleicht eine Art meiner ureigenen paradoxen Intervention).
Am (manchmal doppelten) Boden dieser Kisten habe ich dann einige Bilder entdeckt, die verlorengeglaubt oder schon weit außerhalb meiner Erinnerung waren. So saß ich oft ungläubig staunend und Freude wie Trauer zeichneten feuchte Spuren auf meine staubbedeckten Wangen.
Und als mich die Zeit wieder in die Welt zurücktickte, kam ich dort reicher an, als ich gekommen war.
Das Ergebnis meiner „Schatzsuche“ ist nun ein Sammelsurium aus Geschichten, Texten, Hörproben und Bildern.
Mit deren Hilfe möchte ich versuchen, meine Erlebnisse, Gedanken, Erkenntnisse zum Thema Rausch & Risiko zu vermitteln und diese ergänzend dazu kurz zu reflektieren. Zeitlich spannt sich der Bogen dabei von 1969/70 bis heute.
Reichtum macht nicht glücklich wenn man ihn für sich alleine behält, daher habe ich beschlossen, ihn zu teilen.
Darum: hier ein Auszug davon…
Die Omama im Apfelbaum (Mira Lobe)
(Zuhör / Lese / Erzählrausch 1969 – 1975)
Mit Omama im Apfelbaum, in ihren Armen war ich sicher vor der Meute, die es nicht den glatten Stamm hoch in die Krone schaffte in der wir der Mittelpunkt der Welt waren die sich in gelassener Gemütlichkeit um uns drehte. Wie kläffende Hunde am Fuße des Baumes versammelt, die Eintrichterer, Fünferverteiler, Ohrwaschlzieher. Die Omama hätte ihnen mit Brief und Siegel bestätigen können, dass ich im Fach Idyllisieren einen lupenreinen römischen Einser verdiente und dieses Fach dringenst Teil des Lehrplans werden müsste.
Die eigene Oma befand sich zur der Zeit, in der ich die Geschichte selbst las, schon im Altersheim. Kurz nach dem der Meller – Ofen zu ihrer Toilette geworden war, in dem sie auch ihre Wellensittiche verheizte, weil sie so furchtbar froren.
Sie war es, die mich mit der Omama im Apfelbaum bekannt machte und mir eine Tür in eine Welt öffnete in der ich sicher war. Auch wenn sie sich bei meinen Besuchen im Altersheim an viele Dinge und Begebenheiten (wie das Vorlesen der Omama – Geschichte) nicht mehr erinnern konnte, die folgenden Zeilen aus dem Buch hörte ich von ihr jedoch bei jedem Besuch:
Es sprach der Aal,
im Futteral,
der Saal ist kahl,
ein letztes Mal
grüß ich im Tal
den Pfahl aus Stahl
Auch nachdem sie von uns gegangen war, erzählte ich ihr, wenn ich alleine war, eine der Omama – Geschichten und tat dies laut und deutlich, damit sie mich, irgendwo hoch oben in den Ästen sitzend, auch gut hörte und verstand…
… Doors – open Doors, just a Crack of Light is Security …
(hörrausch: the warning)
(open world – lese/lebensrausch 1992 – ???)
Der Mann in Schwarz flieht in die Wüste und ich folge dem Revolvermann, der ihm folgt …
…bis ins Morgengrauen. Anfangs in sicherer Entfernung. Später in wortlosem Nebeneinander. Kein Blick, kein Atemzug zuviel. Die taube Tonlosigkeit nur unterbrochen vom Knarzen des Leders. Ein zügelloses Traben durch die Welt aus Hitze , Staub und Endlosigkeit. Ein Horizont von blendendem Blau bei Tag. So schwarz bei Nacht, dass jede Hoffnung auf einen neuen Tag fast vergeht …
Und als doch die ersten Lichtstrahlen durch die Tür fallen hebe ich erstmals die Augen. Roland scheint die Tür nicht zu bemerken. Mit stoischer Teilnahmslosigkeit setzt er seinen Weg fort. Vielleicht spielt sie dabei keine Rolle, vielleicht ist es auch Ka dass nur ich sie sehe…
Wenn sich unsere Wege jetzt trennen, werden sie sich je wieder kreuzen ? Ist es nicht auch mein Turm, den es zu erreichen gilt ? Kann ich ihn und Er mich einfach gehen lassen ? Ist dies die einzige Tür, die einzige aller Welten ?
Die Zeit drängt, Ich spüre immer stärker das Magnetfeld meiner Welt und so werde ich mehr durch die Tür gezogen, als ich meine Füße mich auf die andere Seite tragen. Ein letzter Blick zurück bevor ich „flitze“ zeigt mir nur mehr einen winzigen Punkt am flirrenden Horizont…
Auf meiner Seite der Tür führt mich der Weg meines Balkens in die Küche, mitten in die Schwaden des Kaffeemaschinendampfes. Und als im Wohnzimmer das Alarmsignal des Weckers schrillt, fährt meine Rechte noch in der Umdrehung an meine Seite, wo ich statt des Sandelholzgriffes meiner 45er nur kühle Luft zwischen die Finger bekomme …
„…dann geh, es gibt andere Welten als diese..“
(Jake zu Roland Deschain, oder auch Roland von Gilead: beide Figuren in Stephen King`s „Dark Tower“)
Ich bin Roland über die Jahre treu zur Seite gestanden ( und tue das heute noch), viel eher war ich sogar in ihm, wie in einer perfekt sitzenden Rüstung. Habe gelernt Türen zu finden, zu nutzen. Habe Gefährten gefunden, manche im Stich gelassen, andere beschützt. Manche Türen wurden gemeinsam durchschritten, andere waren nur für mich passierbar. Mit jeder Tür nahmen die handelnden Figuren immer deutlicher Gestalt an.
Die Cort`s, Eddie`s, Detta`s, Jake`s aus Rolands Welt wurden für mich auch in meinem Universum sichtbar, wenn auch unter anderem Namen, in anderer Gestalt.
Sie begleiten, beschützen mich. Ermahnen mich manchmal, wenn ich meinen eigenen Weg zum Turm zu verlassen versuche. Schnitzen mit mir an Schlüsseln, um neue Türen zu öffnen …
Stephen Kings „Dark Tower„ – Zyklus, begleitet mich seit 1992. Nachdem ich des ersten Bandes wegen fast meinen Job verloren hätte (da ich morgens mehrmals zu spät zur Arbeit kam, weil ich Roland nicht im Stich lassen konnte), betrachtete ich dies als eine Art „Warnschuss“.
Ich begriff daraufhin auch, dass ich Rolands Welt ja jederzeit durch die Türen auf meiner Seite betreten konnte. Und natürlich auch den Zeitpunkt selbst bestimmen konnte.
So ist es im übertragenen Sinn vielleicht auch mein eigener Turm auf den ich zusteuere. Und auf dem Weg dorthin ein immer wiederkehrendes „Aus der Welt – Fallen“ .
Dieses „Aus der Welt – Fallen“ ist ein Vorgang, der für mich offensichtlich seit Beginn meiner Erinnerung einen fixen Bestandteil meiner Entwicklung und Grundlage zur Selbstreflexion darstellt. Dazu muss ich mich immer wieder auf den Weg machen, um unentdecktes Land zu erkunden, von außen einen Blick in das Suppenteller zu werfen in dem ich lebe. Kurz gesagt, bedeutet das für mich
„fortgehen um heimzukommen“
(wolfgang hel, caminho portugues 2013)
Time to have a Break (but not a Kit Kat)
(Rauschunterdrückung: 3.Oktober 2017)
So abrupt das jetzt auch erscheinen mag, es ist jetzt einfach höchste Zeit die Not – Aus – Taste zu drücken, zum Stillstand zu kommen.
Unzähligen Freunden, Bekannten habe ich während des Entstehens dieser Arbeit begeistert erzählt, wie der Flow des Schreibens / Erinnerns immer mehr zu einem reißenden Strom wird, der mich mitnimmt. Und habe eine Zeitlang doch das Risiko nicht realisiert, immer weiter vom Ufer abgetrieben zu werden.
Doch so begibt es sich, daß mein „einzig wahrer und wunderbarer Freund Sam“ der mich nun seit 40 Jahren begleitet, mir von unserer gemeinsamen „Chips n` Beer – Insel“ aus winkt und zuruft. Und weil ich nicht gleich verstehe was er ruft, sein Winken nicht deuten kann, muss ich näher heran um Land zu gewinnen. Da bin ich nun also wieder und spüre wieder festen Boden unter den Füssen.
Mit ein bißchen Wehmut bin ich jetzt am Ende dieser Zeilen angelangt, weil damit ja auch unser Studienlehrgangsende immer näher rückt. Und weil ich weiß, das dies natürlich auch mit Abschieden verbunden ist. Auch wenn wir verbunden bleiben.
Und mit dem Wissen, dass ich inmitten von Menschen bin, die ein Feuer in die Welt tragen, dass wir gemeinsam angefacht haben und es nähren und hüten werden , fällt es mir ein bisschen leichter.
In diesem Sinne:
„keep the fire burning“
(hörrausch: reo speedwagon)
risflecting®-Abschlussarbeit 2017, Wolfgang Hel