Es war einmal, an einem fernen Ort vor langer Zeit, da wurde in dem größten Haus des Dorfes ein Kind geboren. Das Haus war das des Häuptlings Talha und seiner Frau Halima. Das Neugeborene, ihren ersten Sohn, nannten sie Jabari. In der Sprache des Stammes bedeutet Jabari „der Mutige“. Ein würdiger Name für den Sohn eines Häuptlings.
Das ganze Dorf kam zusammen, um die Ankunft des künftigen Stammesoberhauptes zu feiern. Dies war das erste Fest, welches Jabari erlebte. In seinem Leben feierte er noch viele weitere Feste und verbrachte eine schöne Kindheit in der Gemeinschaft des Dorfes. Bis zu seinem elften Geburtstag. An diesem Tag, und das war bei allen männlichen Nachkommen des Stammes gleich, nahm Talha seinen Sohn mit auf seine erste Jagd nach den großen Raubkatzen. Obwohl die meisten der anderen Jungen diesen Tag herbeisehnten, weil damit das Leben als Kind endete und das des Jägers und Mannes begann, fürchtete Jabari sich. Er lauschte gerne den Geschichten, welche die Alten am Lagerfeuer erzählten und hörte nicht selten von den schweren Verwundungen, die Männer davontrugen, wenn sie auf der Jagd waren und er fürchtete sich von den Geist-Löwen, die in die Dörfer der Umgebung mit ihren Heimsuchungen Angst und Tod brachten.
Seinem Vater traute sich Jabari das nicht zu sagen und trotz seiner Angst wurde er mit den Jahren zu einem geschickten Jäger, der sein Handwerk jedoch nie mit Freude und schon gar nicht mit Leidenschaft ausübte. Trotzdem war er bald weit über das Dorf hinaus für seine Jagdkunst bekannt.
Eines Tages, als Jabari gemeinsam mit einer Gruppe von Jägern durch das Unterholz pirschte, stießen sie auf eine Karawane von Händlern, die von weit hergereist waren. Sie hatten Haare, Haut und Kleider wie Jabari es noch nie zuvor gesehen hatte. Der junge Jäger erinnerte sich an eine Geschichte, in der von Händlern erzählt wurde, die mit großen Gebilden aus Holz über das Wasser kamen. In Gedanken versunken merkte Jabari nicht, dass er an einen Wagen stieß, der von einer alten Frau gelenkt wurde.
Bevor es ihm gelang sich zu verstecken erwischte die Alte seine Hand und hielt sie fest. Die Hexe, denn nichts anderes war die Alte, umklammerte mit ihren knochigen Fingern die kräftigen Hände des Jägers, schaute ihm in die Augen und sprach: „Ich sehe, dass dein großes Glück am Ende eines Regenbogens wartet. Den Regenbogen zu finden, wird dir viel abverlangen. Aber verzage nicht, nimm diesen Talisman. Er wird dir helfen, wenn du es am dringendsten brauchst. Hab‘ Geduld und sei mutig!“
Verwirrt und nicht ahnend, dass sein Leben durch diese Weissagung eine neue Richtung einschlagen wird, nahm Jabari das Geschenk der Alten an und verstaute es gedankenlos in seinem Beutel.
Die Zeit verging und Jabari vergaß die Worte der Alten und auch den Talisman in seiner Tasche. Dieser hatte nur die Größe eines Handballens.
Weitere Jahre zogen in das Land und eines Tages, als die Jäger des Dorfes in der Gegend nach Raubkatzen Ausschau halten sollten, welche das Dorf bedrohen könnten, geriet die Gruppe in einen heftigen Sturm, der für diese Jahreszeit untypisch war. Alle fanden Unterschlupf unter einem umgestürzten Baum.
Jabari, Anführer der Gruppe, stieg aus dem Unterschlupf als der Regen nachließ, um nach dem Rückweg Ausschau zu halten. Als er sich umsah entdeckte er in der Ferne einen Regenbogen. In diesem Moment erinnerte er sich an die Weissagung der Hexe, welche er vor vielen Jahren getroffen hatte. Er wusste, dass der Moment gekommen war, seine Familie und sein Dorf zu verlassen, um herauszufinden, was das Schicksal für ihn bereithalten würde.
Noch in der selben Nacht packte er seine wenigen Habseligkeiten in einen Beutel und machte sich auf den Weg. Wohin ihn der Weg führen würde, wusste er noch nicht und es kümmerte ihn auch nicht, dass er all jene, denen er wichtig war. zurück ließ.
Tief in seinem Beutel versteckt war auch noch der Talisman der Alten, daran konnte sich Jabari zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erinnern.
Der Jäger ging in die Richtung, in die er den Regenbogen vermutete. Die Richtung schlug er ein, da er sich an die Worte der Hexe erinnerte und es kam ihm richtig vor. Als Jäger war es für ihn keine Herausforderung, in der Wildnis zu überleben. Sowohl das Beschaffen von Nahrung und Wasser, als auch die Orientierung im Wald hatte er bereits vor Jahren erlernt. Was für ihn neu war, war die Stille und die Einsamkeit in der Nacht. Jeden Tag kamen mit der Dunkelheit die Träume von den Schatten und den Geist-Löwen. Im Traum begegnete er diesen Unwesen auf seinem Weg zum Regenbogen und davor hatte er Angst. Die Angst verhalf ihm dazu, jeden Tag ein wenig schneller und weiter zu gehen, um an ein Ziel zu kommen, das er nicht kannte. Jabari suchte nach dem Regenbogen, immer wieder erschien dieser in weiter Ferne und Jabari steuerte unentwegt darauf zu. Träumen – fliehen – träumen – fliehen so gestalteten sich die Tage des jungen Jägers und wie im Rausch folgte er dem Regenbogen, dessen Ende unerreichbar schien. Jabari merkte nicht, dass er immer schwächer wurde, da er in der Trance, in der er sich seit Tage befand, immer häufiger vergaß zu Essen und zu trinken. Weiterhin getrieben dadurch, sein Glück dort zu finden, wo es ihm die Hexe prophezeit hatte, war er irgendwann zu schwach um weiter zu ziehen. Und dann kamen die Schatten und mit den Schatten die Geist-Löwen. Es waren Gestalten, deren Form an Löwen erinnerte, auch wenn sie nur aus Nebel und Licht zu bestehen schienen, Nebel und weißem, kaltem Licht. Sie bewegten sich auf Jabari zu. Dieser war aber nicht im Stande, sich zu bewegen, weshalb die Geistwesen über ihn kamen und versuchten, in ihn einzutauchen.
Ein lautes Knurren stoppte die Nebelgestalten und sie lösten sich auf, bevor sie Jabari weiter schaden konnten. Über dem Jäger stand ein Wolf und noch ehe Jabari sein Jagdmesser aus seinem Gürtel ziehen konnte – für einen Kampf wäre er ohnehin zu schwach gewesen – geschah etwas, was er nicht begreifen konnte. Der Wolf begann zu sprechen. Er sprach, ohne dass sich sein Maul bewegte, aber für Jabari waren die Worte deutlich zu hören: „Gib mir einen Namen und ich werde dich begleiten und beschützen, vor allem, was dir gefährlich werden kann.“
Jabari hielt Inne, er erkannte, dass er keine Angst vor dem Wolf zu haben brauchte. Das Tier sah ihn mit einem treu ergebenen Blick an.
Mwiturafiki – Wolfsfreund – so nannte Jabari seinen Retter, der ihn fortan begleiten würde.
Der Jäger versuchte, sich klar darüber zu werden, was ihm soeben widerfahren war. Er konnte sich kaum erinnern, wusste nur, dass er seinen Weg fortsetzen musste. Er war kein Jäger mehr, er war ein Wanderer, der einem Weg folgte, dessen Ziel er nicht kannte, der getrieben wurde von einer Kraft, die ihm fremd war. Auch wenn er wusste, dass er umkehren sollte, zog ihn etwas voran, dass er nicht beherrschen konnte.
Immer wieder verfiel Jabari in jene Zustände, in denen er die Selbstkontrolle zu verlieren drohte, doch die Geist-Löwen suchten ihn nicht mehr heim, er hatte einen Begleiter, der ihn vor den Gefahren bewahren konnte, Mwiturafiki stand dem Wanderer bei Seite, wie er es versprochen hatte.
Es waren jene Tage, an denen Jabari den Regenbogen sah, an denen Mwiturafiki seinen Herren besonders vor sich selbst schützen musste. Der Wolf achtete darauf, dass der Wanderer zur Ruhe kommen konnte, um neue Kräfte zu sammeln.
An einem dieser Tage schaffte Jabari es nicht, sich rechtzeitig vor dem Regen einen Unterschlupf zu suchen. Er schlief ein, wo er sich niederließ. Mwiturafiki beschützte ihn.
Als der Wanderer aufwachte war er durchnässt vom Regen. Auch sein Beutel war triefendnass. Er musste alles was sich im Sack befand zum Trocknen in die Sonne legen. Jabari leerte den Beutel und spürte in einer Falte etwas Hartes. Er holte das Ding heraus und erkannte den Talisman, den er vor langer Zeit von der alten Frau mit dem Händlerwagen bekommen hatte. Er betrachtete einen golden glänzenden Gegenstand. Jabari erkannte, dass sich der Gegenstand in zwei Hälften Teilen lies. Er klappte ihn auf und fand darin im ersten Moment nichts als eine glatte Oberfläche. Der Wanderer drehte den Gegenstand und untersuchte ihn von allen Seiten, bis sein Blick in dessen Inneres fiel. Dort sah er das Bild eines jungen Mannes, er sah ein Spiegelbild von sich selbst und da fielen ihm wieder die Worte der Hexe ein:
„Ich sehe, dass dein großes Glück am Ende eines Regenbogens wartet. Den Regenbogen zu finden wird dir viel abverlangen, aber verzage nicht, nimm diesen Talisman, er wird dir helfen, wenn du es am dringendsten brauchst. Hab‘ Geduld und sei mutig!“
Jabari hatte nach einer langen Reise zu sich selbst gefunden. Gemeinsam mit Mwiturakiki kehrte er in sein Dorf zurück, wo er und seine Jagdkünste bereits sehnlichst erwartet wurden.
Der Jäger hat einen Freund, sein Glück und sich selbst gefunden und lebte ein langes, erfülltes und zufriedenes Leben.
ENDE Christoph Zupanc-Dunst