Ähnlich wie ein Fahrsicherheitstraining für Führerscheinfrischlinge, gibt es ein Sicherheitstraining für Gleitschirmpilot*innen. Dabei werden über Wasser, unter Aufsicht von zwei Fluglehrern, Manöver und Flugsituationen mit dem Gleitschirm über Funk angeleitet und trainiert. Die Manöver und Flugsituationen simulieren ein flugunfähiges Verhalten des Gleitschirms. In sicheren Rahmenbedingungen konnte ich die Grenzen meines Gleitschirms kennen lernen und dabei trainieren, wie ich ihn aus einem flugunfähigen Zustand wieder ins Fliegen bringen kann.
Das alles 1000 Meter über Wasser, in zehn Flügen, mit Vor- & Nachbereitungen – mein Gleitschirm und ich kamen an unsere Grenzen und darüber hinaus!
Bezug zu risflecting®
Eingangs möchte ich einen der zehn Flüge beschreiben, um zu verdeutlichen was dabei in einem und um einen herum vorgeht.
Bei diesem Flug geht es darum „Klapper“ zu simulieren. In der Vorbereitung besprechen Fluglehrer und Pilot das Verhalten des Schirmes sowie das Verhalten des Piloten. Das Einleiten und das Ausleiten des Manövers werden im Detail besprochen. Am Startplatz vor dem Abflug gehe ich die besprochenen Details mit geschlossenen Augen noch mal durch. 3..2..1.. Abflug. Nach einem gemütlichen geradeaus-Flug überfliege ich das Ufer. Nun wird es ernst. Über Wasser erklärt der Funkspruch des Fluglehrers nochmals die Abfolge des Manövers. Einatmen, ausatmen, Körperspannung, Fokus.. Ich greife mit der rechten Hand an die Leinen, die zur rechten Eintrittskante des Schirmes verlaufen. Es folgt ein ruckartiges herunter ziehen der Leinen.
3.. 2.. 1.. Bääm! Die komplette rechte Seite des Gleitschirms klappt ein, er dreht nach rechts und pitcht nach vorne. Ich pendle nach links und drehe mich ein wenig ein. Es raschelt und dreht sich, kippt nach links und nach rechts. Ich gebe die Hände nach oben und circa 20 Höhenmeter später befinden sich der Gleitschirm und ich wieder im stabilen gemütlichen geradeaus Flug. Es überrascht mich, wie stark Pilot und Kappe pendeln. Man schwingt plötzlich acht Meter hin und her nach links rechts vorne unten und oben. Es ist vieles los dort oben in der Luft. Die Funksprüche des Fluglehrers kann ich klar hören und den Anweisungen folgen. Die besprochenen Abläufe kann ich umsetzen und fühle dabei das Verhalten des Gleitschirms über die Steuerleinen an meiner Hand.
Sekunden später führe ich das nächste Manöver, den nächsten „Klapper“, durch. Ein besonderes Bauchgefühl begleitet mich bis unmittelbar davor.
Manöver für Manöver beruhige ich mich. Das zaghafte Bauchgefühl wandelt sich zum selbstbewussten, kühnen und kontrollierten Wohlbefinden. Im Trudeln kann ich das Verhalten des Schirmes feinfühliger wahrnehmen und auf minimale Bewegungen des Gleitschirms reagieren und so das Ausbrechen des Schirmes verringern und wieder ein stabiles Flugverhalten erreichen. So werden circa 800 Höhenmeter abgebaut. Es folgt die Landeeinteilung, der Landeanflug der Bodenkontakt. Was für ein Flug – Erlebnis!
Es fühlt sich richtig krass an, ans Limit zu gehen, die Komfortzone zu verlassen, das Trudeln zu erleben, sich zu fokussieren und bewusst zu handeln um wieder in die Komfortzone zu gelangen.
Das Zonen Modell – von der Komfortzone in die Lernzone
Das Wagnis, ein Risiko einzugehen, wurde durch Vor- und Nachbereitung einschätzbar und in die Flugsituation integriert. Die Komfortzone nimmt eine Risikosituation auf und lässt somit eine Risikozone zur Lernzone werden. Das bewirkt ein stressfreies Erleben und Entwickeln eigener Fähigkeiten. So wird ein klares Wahrnehmen der Situation und ein dementsprechendes Handeln ermöglicht.
Die Gefahrenzone wird nicht erreicht. Dafür sorgen die Rahmenbedingungen durch die Vorbereitung, die beiden Fluglehrer, die eigene mentale Vorbereitung, der Rettungsschirm, die Schwimmwest und der Gardasee.
Das Gleitschirmfliegen ist mit Risiko und existentiellen Bedrohungen verbunden. Es lässt sich einerseits durch technische Entwicklung der Fluggeräte, sowie durch Fähigkeiten der Pilot*innen stark minimieren. Im sicheren Rahmen konnte ich es wagen, riskante Situationen zu erleben und adäquate Handlungsstrategien dafür zu entwickeln. Sollte mich in einem Flug ein Einklappen des Schirmes überraschen, fühle ich mich jetzt dazu bereit, risikominimierend handeln zu können.
Wie wird die Risikozone zur Lernzone?
Das beschriebene innere Erleben beim Flug und den Manövern konnte ich in den vier Trainingstagen zehnmal wahrnehmen und einen für mich hilfreichen Umgang damit finden. Es ist nämlich so, dass man hier keine genussvollen Flüge absolviert, sondern bei jedem Flug aufs Ganze geht. 100% Fokus, 100% Schirmgefühl. Um mich herum lockere Leinen, starkes Pendeln, hohe Fliehkräfte, das Rauschen der Luft! Vor jedem Flug fühlte ich mich wie vor einem Sprung ins eiskalte Wasser und ich wusste, ich werde es tun! Jedes Mal, als ich über das Ufer des Sees flog dachte ich mir: „Scheisse, jetz geht’s gleich ab! Bist du ready? JA!“
Ich verlangte von mir selbst ein starkes Mindset und habe mich mental darauf vorbereitet und motiviert. Vor jedem Flug, vor jedem Manöver. Mit intrinsischer Motivation, Atemübungen, mentalen Bildern, Verinnerlichung der Manöver, setzen von Ankerpunkten, wahrnehmen von meinen Innern, wahrnehmen von meiner Umgebung, Selbstgesprächen und mit Ruhepausen zwischen den Flügen. All diese Tools gaben mir Selbstsicherheit über mein fliegerisches Können, beseitigten Gefahren und erklärten mir mein Verhalten, meine Reaktionen, meine Gedanken. Dadurch wurde meine Angst beruhigt und das Unangenehme, worauf das ich zuflog, fühlte sich überschaubar klein an. Ich war sowas von bereit in die Risikozone zu fliegen, etwas Außeralltägliches zu tun. Das, was ich bei meinen bisherigen Flügen stets vermeiden wollte, wurde zu dem, was ich tun wollte.
Im Gleitschirmfliegen sehe ich das Potential, die Fertigkeiten welche dieser Sport vermittelt, in alltägliche Situationen zu transferieren. Meine Herangehensweise an die Trainingsflüge am Gardasee, ist nur eine von vielen möglichen.
Gleitschirmflüge haben das Potential die eigenen Ressourcen zu mobilisieren. Infos darüber finden sich auf www.perspektiv-paraglide.com
Georg Schwaighofer